Die Einsamkeit zu zweit – über die einsamen Mütter

Geschrieben am 02.01.2022
von Susanne Mierau


Da liegt es nun, dieses Baby. So zart, so rosig, so schön. Man streicht mit sanften Händen darüber. Man schaut es an, stundenlang. Doch irgendwann kommt der Moment, an dem das Anschauen nicht mehr reicht. Vielleicht kommt gerade noch die Hebamme einmal am Tag. Vielleicht ist aber die Zeit der Besuche im Wochenbett schon vorbei. Der andere Elternteil geht vielleicht wieder arbeiten. Die Freund*innen sind ebenfalls beim Job. Ein schales Gefühl stiehlt sich ins Herz: Einsamkeit zu zweit – gibt es das?

Ruhe in der Wochenbettzeit tut gut: Sich Zeit nehmen, um den neuen Menschen begrüßen zu können und kennenzulernen. Sich Zeit nehmen für die Veränderungen nach der Geburt, ggf. auch als Paar. Ankommen in einem neuen Leben. Doch dieses Ankommen bedeutet nicht Abschottung. Es bedeutet, achtsam umzugehen mit Ressourcen. Es bedeutet, nicht jederzeit jeden Besuch hinein zu lassen, aber dennoch Gäst*innen empfangen zu dürfen. Es bedeutet, nicht die Besuchenden bewirten zu müssen, sondern es sich gut gehen zu lassen. Aber es bedeutet nicht Einsamkeit.

Die Frage danach, wieviel Besuch richtig und passend ist, ist wichtig. Sie ist auch sehr individuell, denn wir alle sind verschieden, unsere Babys sind verschieden. Wir lernen sie kennen und verstehen nach und nach, wieviel Reize für dieses Baby zu welcher Zeit richtig und wieviel zu viel sind.

Nicht selten geht die generelle Angst vor Überreizung jedoch auf Kosten eines anderen Menschen: der Mutter, die mit ihrem nur wenige Wochen altem Baby zu Hause ist. Sie traut sich nicht hinaus, sie lädt keinen Besuch zu sich ein. Sie ist froh über die Termine der Hebamme, sehnt sie vielleicht sogar herbei. Allein zu Hause mit einem Baby, das kann neben aller Romantik auch ziemlich einsam ein. Denn auch wenn die Zeit des Wochenbetts eine Schonzeit ist, ist sie eigentlich keine einsame Zeit.

Sich in das Bett legen mit dem Kind und zugleich umsorgt werden von anderen ist das, was Mütter in dieser Zeit eigentlich brauchen. Mehr noch als die regelmäßigen wohltuenden Hebammenbesuche, aber weniger als aufdringliche Verwandte. Eine sanfte Weise des Umsorgtwerdens, unaufdringlich. Das Essen, das bereitet wird, der Einkauf, der besorgt wird. Das Bad, das einmal kurz gesäubert wird – gerade jetzt im Wochenbett mit empfindsamen Körper. Einen Menschen haben, mit dem man reden kann: über Freude und Sorgen, über das Gefühl des Glücks oder auch das Vermissen des selbigen. Eine erfahrene Schulter zum Anlehnen, ein freundliches Gesicht zum Lachen. Eine Hand, die Handgriffe zeigt, die man selber noch nicht kannte. Ein beruhigender Blick, der Hoffnung gibt.

Nein, die Wochenbettzeit ist keine Zeit der Einsamkeit – oder sollte es nicht sein. Es ist eine Zeit des Ankommens in einer neuen Art in der Gemeinschaft. Die Frau ist nun Mutter, Teil einer neuen Gemeinschaft. Sorgsam an die Hand genommen sollte sie werden, auf ihren neuen Schritten begleitet. Nicht gezogen oder geschoben. Nicht verurteilt oder behandelt. Sie ist vielleicht noch neu hier, aber Teil von vielen. Wir alle kennen unsere ersten Schritte. Wir alle standen einmal da. Und deswegen ist es so wichtig, dass wir neue Mütter gut und sicher begrüßen in diesem neuen Leben und ihnen zeigen: Du bist nicht allein!


Eure

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Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.